Anders die Franzosen mit ihren klingenden Doppelnamen...
Wenigstens einem gewissen Kreis von Eingeweihten sagen Namen wie Chenard & Walcker, De Dion-Bouton, Delaunay-Belleville oder Rochet Schneider noch etwas. Aber auch sie können ins Schwimmen geraten wenn es um Audibert & Lavirotte, Barron-Vialle, Battman & Lacoste, Cottin-Desgouttes, Gobron-Brillié, Hautier-Wehrlé oder Turcat-Méry geht.
Oder um Delaugére & Clayette...

Kein Wunder, dass diese Marke heute praktisch vergessen ist: Nur noch 26 fahrbereite PKW und LKW existieren noch...

S.A. des Établissements Delaugère, Clayette, Frères et Cie. (Kazeo)
Gründung
ca. 1840 Jean-Pierre Delaugère, entraîneur constructeur
1864 J.-P. Delaugère & Fils;
1904 E. et F. Delaugère et M. Clayette;
1906 S.A. des Ét. Delaugère, Clayette, Frères et Cie.
Auflösung
1933; Stillegung nach Verkauf 1926
Sitz
Orléans, Loiret, Frankreich
Leitung
Jean-Pierre Delaugère, Henri und Emile Delaugère, Félix Delaugère, Maurice und Henry Clayette
Mitarbeiter
ca. 350 (Stand 1909)
Produkte
Kutschen, Dampfmaschinen, Dampfkessel, Automobile, Nutzfahrzeuge, Voiturettes, motorisierte Drei- und Vierräder, Karosserien
Unternehmensgeschichte

Werbung, ca. 1903. Abgebildet ist ein Quadricycle, d.h. ein vierrädriges Gefährt mit Fahrradsattel, -lenker und einem optionalen Sitz für einen Passagier (eBay)
Kutschenbau (1840-1890)
Jean-Pierre Delaugère (1810-1868), ein Stellmacher aus Nogent sur Vernisson (Département Loiret), machte sich in den 1840er Jahren selbständig. 1864 nahm er seinen Sohn Henri (1839-1908) in seinen Betrieb auf, der darauf als Delaugère, Père et Fils eingetragen wurde mit dem Zweck, Kutschenbau und -handel zu betreiben. Der Geschäftssitz war an der Rue d'Illiers im Zentrum von Orléans. Nach dem Tod des Gründers kam es 1872 zu einer Partnerschaft mit Henris jüngerem Bruder Emile (1849-1917) und zur Etablierung als Société Delaugère Frères. In dieser Form bestand das Unternehmen bis 1890, als mit dem Neffen Félix (1864-1934) ein weiteres Familienmitglied in das Unternehmen kam. Dieses wurde in die Kollektivgesellschaft Delaugère et Cie umgewandelt.
Bis dahin hatte sich das Unternehmen in der Region einen guten Ruf als Kutschenbauer erworben. Spezialgebiet waren leichte Fiaker, Break, Dos-à-dos und Wagonnettes.
Dampfmaschinen und Automobile (1890-1902)


Regelmässig am London to Brighton Run zu sehen: Delaugère 2¾ HP Voiturette; 2 Zylinder, 474 ccm von 1902. Voiturettes sind Leichte Fahrzeuge, etwa zwischen den Cycle cars (oft mit Motorradkomponenten) und Kleinwagen anzusiedeln (LBVCR)
Nun begann sich das Unternehmen auch für Dampfmaschinen und Dampfkessel zu interessieren, wofür eine Werkstätte an der nahen Rue des Bons Etats eingerichtet wurde. Zudem begannen Emile und Félix mit einer "Benzinkutsche" zu experimentieren. Das Ergebnis, ein Tricycle mit einem Einzylindermotor eigener Produktion (möglicherweise mit De Dion-Bouton Motor), zeigten sie 1898 an der ersten Automobilausstellung in Paris überhaupt. An einem internationalen Salon im Jahr 1900 gewann ein Delaugère-Quadricycle mit De Dion-Bouton-Motor eine Silbermedaille. Die reguläre Produktion wurde 1901 mit einem Zweizylindermotor eigener Konstruktion aufgenommen. Die Ausführung mit automatischem Einlassventil ähnelte jener von Panhard & Levassor, welche ihrerseits auf Lizenzen von Daimler zurückgingen. Auch wenn bald auf manuelle Einlassventile umgestellt wurde, sollte das Unternehmen bis 1922 seine Motoren selber bauen. Bereits im folgenden Jahr kam der Vierzylinder 20 CV dazu.
Straßenfahrzeuge als Industrieprodukt (1903-1914)

1904 Delaugère & Clayette 24 CV Double Phaeton; möglicherweise eine Weiterentwicklung des 20 CV von 1903. Schlangenkühler hielten sich nicht lange. (LBVCR)

1904 Delaugère & Clayette 24 CV Type 4A, Fahrgestell Nr. 205 mit nachempfundener Rennwagen-Karosserie. Gut sichtbar: Kettenantrieb. (kazeo)
Auf Empfehlung eines Freundes der Familie, Dr. Léon Petit, wandte sich das Unternehmen der Entwicklung größerer Fahrzeuge zu, weil das bessere Absatzchancen versprach. Fachliche Unterstützung holte sich das Unternehmen 1903 mit Maurice Clayette aus Meung-sur-Loire, einem Ingenieur mit abgeschlossenem Studium am Conservatoire National des Arts et Métiers (CNAM). Auf einem Areal von 22.000 m² an der Faubourg Madeleine N° 16 in Orléans begann dieser bald mit dem Bau einer modernen Fabrik mit 10.000 m² Fläche. Bereits im folgenden Jahr wurde Clayette Teilhaber des Unternehmens, das darauf zu E. et F. Delaugère et M. Clayette wurde, dotiert mit einem Firmenkapital von FF 450.000. Bis etwa 1904 wurden die Fahrzeuge als Delaugère vermarktet, danach als Delaugère & Clayette.

1904 Delaugere et Clayette 20 CV Landaulet (motorsnaps)

1905 Delaugère & Clayette 24 CV Type 4A Limousine (Ar-Chief)
1906 stieg Maurice' Bruder Henry Clayette, ein Generalist mit einem Abschluss als Ingénieur des Arts et Manufacture in das Unternehmen ein, das darauf seine letzte Umwandlung zur Kommanditgesellschaft SA des Établissements Delaugère, Clayette, Frères et Cie. erfuhr. Dies ging einher mit einer Aufstockung des Kapitals auf 1,5 Millionen FF. Bei Delaugère & Clayette als ehemaligem Kutschenbauer wurde stets Wert auf gepflegte Karosserien in möglichst breiter Auswahl gelegt, die untypischerweise selber hergestellt wurden.
Internationale Ausstrahlung

Delaugère & Clayette Anzeige von 1908 (eBay, Ythier Legrand)

1907 Delaugère & Clayette 25/35 CV Typ 4C Double Phaeton (Salon Reims)
Das Unternehmen war zwar regional ausgerichtet, bemühte sich aber auch um den Export. Einige Fahrzeuge gelangten neu nach Rumänien, Mexiko und in die USA. Das Unternehmen stellte 1907 am Automobilsalon von Madrid aus; das dortige Hotel Ritz benützte einen Delaugère & Clayette Omnibus. Delaugère & Clayette verkaufte LKW an spanische Bergwerkunternehmen. Zu weiterer internationaler Beachtung trug der Gewinn einer Goldmedaille an der Automobilausstellung von London 1908 bei. Eine Vertretung fand sich in Australien, und für jene in Argentinien wurde der Katalog angepasst. 1913 erschien ein Personenwagen mit Schiebermotor Lizenz Mustad-Fischer (Mustad war ein norwegischer Industriekonzern, Fischer (ein Schweizer Autobauer).
LKW für die Armee
Ein neues Geschäftsfeld eröffnete sich mit dem Bau von Nutzfahrzeugen, deren Entwicklung 1913 abgeschlossen wurde. Das Unternehmen richtete die Konstruktion von vornherein auf die Bedürfnisse der Armee aus und schaffte nach eingehender Prüfung den Ankauf des Typen LO2 durch das französische Kriegsministerium.
Kriegsjahre (1914-1918)
Folgerichtig produzierte Delaugère & Clayette im Ersten Weltkrieg Lastkraftwagen für die französische Armee sowie Munition. Letztere ist mit dem eingestanzten Code "GQ" gekennzeichnet.
Anpassung an neue Marktbedingungen (1919-1922)
Der Automobilmarkt veränderte sich nach dem Krieg markant. In Frankreich führten mehrere Hersteller (etwa Citroën, Renault, Peugeot, Mathis) die Fließbandproduktion ein. Das führte zu einem Preiszerfall bei Neuwagen, worunter insbesonders kleine, überwiegend regional bekannte Hersteller litten.
Delaugère & Clayette reagierte einerseits mit einer Reduktion der Werkskarosserien; eine schmerzhafte Maßnahme, denn eine breite Auswahl an hochwertigen Aufbauten war eine der Stärken des Unternehmens. Weiter gehörte eine gestraffte Modellpalette zur Strategie.

1921 Delaugère & Clayette, wahrscheinlich Type LO2, der Sapeurs-Pompiers St Hilaire-St Mesmin im Loiret (kazeo)
Delaugère & Clayette verkaufte weiterhin auch Nutzfahrzeuge. Diese waren entweder von Personenwagen ("Normande"-Kleinlaster) oder vom Militär-LKW abgeleitet. So verwendete die Stadt Toulouse LKW des Typs LO2 für kommunale Aufgaben und es gab einen Hotel-Bus im Angebot.
Für 1923 wurde auch die unwirtschaftlich gewordene Herstellung eigener Motoren aufgegeben, nachdem ein letztes Modell mit einem Sechszylinder von 4396 cm³ (21 CV) vorgestellt worden war; dieser blieb bis 1925 erhältlich. Die drei neuen Vierzylindermotoren kamen von Ballot.
Verkauf und Produktionsende (1923-1926)
Delaugère & Clayette baute nun hauptsächlich seinen neuen Type V mit Ballot-Motor, daneben sehr wenige 21 CV Type 6Z und Nutzfahrzeuge, darunter ein vom Type V abgeleiteter Kleintransporter, ein Hotel-Bus und LKW bis 3,5 Tonnen (LO3 mit Ballot 3,3 Liter).
Um die Jahreswende 1924-1925 verließen die Brüder Clayette das Unternehmen, das Félix Delaugère schließlich an Panhard & Levassor verkaufte. Letzte Automobile des in der Herstellung viel zu teuren Type V entstanden 1926, danach wurden Maschinen und Werkzeuge für die Automobilfabrikation demontiert und zu Panhard & Levassor geschafft.
Atéliers Delaugère

Zierte Panhard-Fahrzeuge mit Werkskarosserie vor dem 2. Weltkrieg: Karossier-Plakette "Carosserie Panhard - Atéliers Delaugère Orléans". Werkskarosserien bei kleineren Herstellern wurden ähnlich aufwendig hergestellt wie die Einzelanfertigungen externer Anbieter. Trotzdem galten sie als weniger exklusiv, der Autobauer selber verdiente aber damit gutes Geld. (Club Delaugère & Clayette)

Panhard & Levassor CS RL (Type X72) mit "Panoramique" (vgl. A-Säule) Werkskarosserie der Atéliers Delaugère, gebaut 1932-1936. 6 Zylinder, 2516 ccm, Knight-Schiebermotor. (Wikipedia)
Die auf den Verkauf des Unternehmens folgende Produktionseinstellung war folgerichtig, bedienten beide Hersteller doch den gleichen Nischenmarkt. Damit endete aber Delaugère & Clayette's Tätigkeit in der Automobilbranche keineswegs, Panhard & Levassor ließ vielmehr in Orléans verschiedene eigene Werkskarosserien fertigen, darunter die eleganten Panoramique. Pierre Delaugère unterhielt im Werk zusammen mit acht Mitarbeitern die Ersatzteilversorgung der ehemaligen Kunden noch bis 1931.

Auch die Karosserie des Panhard & Levassor Dynamic entstand bei den Atéliers Delaugère (1936-1939: Abb.: 1936 Dynamic 130 Type X76 Coupé; 6 Zylinder, 2516 ccm, Schiebermotor, 65 HP). Die ersten Exemplare besassen noch Mittellenkung (Wikipedia)
Das Unternehmen wurde 1933 aufgelöst; Félix Delaugère verstarb 1934. Der Karosseriebau für Panhard wurde aber als Abteilung von Panhard & Levassor und später Panhard weitergeführt; Werkskarosserien tragen eine Plakette, die einen stilisierten Panhard zeigt und dazu die Schrift Carosserie Panhard - Atéliers Delaugère Orléans.
Prototyp Panhard Dynavia von Louis Bionnier, gebaut in den Atéliers Delaugère in Orléans und heute ausgestellt in der Cité de l’Automobile in Mulhouse (1948) (Wikipedia)

1963 (ca.) Panhard 24BT: Gebaut in den Hallen von Delaugère in Orléans (Wikipedia)
Somit entstanden hier auch die Karosserien des futuristischen Dynamic und nach dem Krieg des Panhard Dyna X und seiner Nachfolger. 1948 baute Panhard-Chefdesigner Louis Bionnier hier den Prototypen Dynavia, der heute in der Cité de l’Automobile / Collection Schlumpf in Mulhouse (Frankreich) ausgestellt ist. Sogar als Panhard 1965 von Citroën übernommen und die Marke 1967 eingestellt wurde, ging die Produktion in den alten Anlagen in Orléans einige Jahre lang - bis 1973 - weiter.